Seniorenarbeit: Klassische und innovative Konzepte

Über die Attraktivität von Seniorenarbeit

Was denken Sie?

Die Feierlichkeiten anlässlich der Golden Globeverleihung 2017. Die Schauspielerin Meryl Streep wird für ihr Lebenswerk geehrt. Sie hält eine leidenschaftlich flammende Rede für Demokratie und Menschenrechte und Menschenwürde, für eine offene Gesellschaft. Eine tolle Frau: ich liebe ihre Filme und ihren Humor, bewundere ihre Erfahrung im Filmgeschäft und vor allem ihren Mut, sich öffentlich gegen den neuen Präsidenten der USA zu positionieren und finde, sie ist eine tolle Frau.

Und Frau Streep ist 67 Jahre alt.
Haben Sie eine solche Frau vor Augen, wenn Sie über die Seniorenarbeit in Ihrer Gemeinde nachdenken? Nun ja, vielleicht nicht ganz so schillernd und berühmt, aber mit ebenso viel Erfahrung im Leben, im Beruf. Eine Frau, die mutige Entscheidungen treffen musste, die über Ihr Leben nachdenkt, die kreativ ist, Verantwortung übernimmt und ihre Gedanken mit anderen teilen möchte?

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir einräumen, eher an hilfs- oder pflegebedürftige Frauen und Männer zu denken. Oder an Menschen, die an unseren Seniorennachmittagen unterhalten und versorgt werden wollen. Vielleicht sehen wir sie als diejenigen, die schrittweise ihre Autonomie einbüßen, die angewiesen sind auf unseren Trost, unsere Fürsorge.

Das kann richtig sein, es gibt sie Menschen, die unsere Anteilnahme und Unterstützung brauchen: Wer, wenn nicht wir als Christ/innen müssen uns um sie kümmern, sollen die im Blick haben, die der Hilfe bedürfen? Wir sind es doch, die gegen das Leistungsdenken, das Ewig-Fit-sein-müssen, das Nützlichkeitsdenken gegen an leben und arbeiten sollten. Schließlich haben alle ihren Wert in unserer Gemeinschaft, der sich nicht an der Leistungsfähigkeit bemisst; das ist unser Credo. Wobei uns bewusst sein muss, dass auch Menschen, die auf uns angewiesen sind, weiter eigenständige Persönlichkeiten mit Ressourcen bleiben bis zum letzten Atemzug.

Dankbarkeit?
Wenn Sie ein Gruppe leiten, wie empfinden Sie Ihre Beziehungen zu den Gruppenteilnehmenden? Sie wollen den Menschen etwas geben, aber haben Sie den Wert der Gruppe auch schon einmal danach bemessen, was Sie bekommen? Und ich meine nicht nur Dankbarkeit. Hand aufs Herz: Begegnen Sie den Gästen Ihrer Gruppen auf Augenhöhe?

Hilfsbedürftig ist niemand gern
Sich als hilfsbedürftig zu outen, fällt Menschen zudem schwer. Allzu oft wird es als Makel empfunden, nicht alles allein zu schaffen. Gerade die Nachkriegsgeneration, die wir bei den Seniorennachmittagen antreffen, ist diejenige, die soviel (allein) schaffen musste, die als Kinder in den Kriegs- und Nachkriegsjahren oft auf sich gestellt waren. Junge Frauen, die sich ohne Männer durchgeschlagen und gemeinsam ihre Stadt wiederaufgebaut und das Wirtschaftswunder gewuppt haben.

„Da sind doch nur alte Menschen“
Wir belächeln die Älteren, die nicht zu einem Seniorennachmittag gehen wollen, weil: „da doch nur alte Menschen sind“. Wir hören da eine Leugnung des eigenen Alters heraus, das Nichtwahrhaben wollen, dass man in diese Zielgruppe gehört. Aber wir könnten diese Aussage auch ganz anders interpretieren: „Ich will nicht zu einer Gruppe gehören, die sich ausschließlich über das Lebensalter ihrer Teilnehmenden definiert.“ Oder: „Ich möchte nicht nur mit Alten zusammen sein; alt bin ich selbst. Mich interessieren die Leidenschaften, die Sorgen und Ideen aller Generationen.“ Und: „Ich möchte nicht nur meinen eigene faltigen Nabel betrachten während es in der Gemeinde, in der Welt soviel zu tun gibt. Ich möchte nicht nur Schöngeistiges konsumieren, lieber einmal die eigenen Gedichte zu Gehör bringen. Ich möchte nicht nur unterhalten werden während die Jugendlichen in unserer Gemeinde nach dem Schulabschluss nichts mit sich anzufangen wissen, die Kindern und Frauen in den Unterkünften der Geflüchteten sich langweilen, der Garten des Gemeindehauses verwildert,….“ Die Liste ließe sich fortsetzen.

Das Nadelöhr oder „Ich würde niemals in meinen eigenen Seniorenkreis gehen?“*
Ältere Menschen wollen sich nicht durch das Altersnadelöhr quetschen, das wir ihnen anbieten. Es ist ein Filter, der unsere Gruppen übersichtlich und eben auch unattraktiv für viele hält.
Ich behaupte: Seniorenarbeit aus dieser Perspektive ist nicht „sexy“ – weder für die, die sie anbieten, noch letztendlich für eine große Zahl älter gewordener Gemeindemitglieder. *Originalton eines Pastors aus der Seniorenarbeit.

Perspektivwechsel
W
as hält uns davon ab, unseren Blick auf Seniorenarbeit zu weiten, auch die in den Blick zu nehmen, die allgemein als „Junge Alte“ bezeichnet werden. Wobei wir das Jung weniger auf die Lebensjahre als auf die Bereitschaft und Möglichkeit, sich zu engagieren, mitzureden und Zukunft zu gestalten beziehen sollten.
Wozu brauchen wir überhaupt die Schubladen wie Frauen, Männer, Senior/innen? Was spricht gegen Arbeit mit Erwachsenen? Und wenn etwas alle Zielgruppen in einer Gemeinde gemeinsam haben – von den Täuflingen bis zu den Senior/innen – dann ist es das Älterwerden.
Klar, zu einem Nachmittagsangebot kommen wahrscheinlich eher diejenigen, die keine Kinder zu versorgen haben oder bis 18 Uhr bei der Arbeit sind. Aber sie kommen nicht, weil sie alt sind sondern, weil sie das Thema interessiert, weil sie sich einbringen wollen, weil sie Zeit haben.

Herzlichen Glückwunsch
Da kommt eine sehr kompetente und attraktive Zielgruppe! Da kommen sie die Meryls Streeps ihrer Gemeinde mit ihrer Lebenserfahrung, ihrem KnowHow, ihren Narben und erstaunlichen Lebensgeschichten. Und manch Sean Connery mit Mut, Ideen und Blessuren ist mit Sicherheit auch dabei. Einen Golden Globe müssen sie bei Ihnen nicht mehr gewinnen, aber die Gelegenheit zur Partizipation und Mitsprache werden sie einfordern.

Und für Ihr Lebenswerk ehren können wir sie allemal.

Mit diesem Artikel fordern wir Sie auf, mit zu reden:
Was denken Sie zum Thema Seniorenarbeit – als Gestalterin oder Teilnehmer von kirchlichen Seniorenangeboten? Wie ist es für Sie, wenn Sie über Ihr Alter definiert werden? Sind Sie zufrieden mit dem Angebot Ihrer Gemeinde, haben Sie Wünsche. Gibt es etwas, das Sie schon immer einmal dazu sagen wollten?

Tun Sie es! Schreiben Sie uns einen Brief oder eine Mail: ute.zeissler@kirchenkreis-hhsh.de
Es gibt bereits viele Gemeinden, die die Schubladen geöffnet und sich zu einer neuen Arbeit auf den Weg gemacht haben: Auch davon würden wir gern hören.

Ute Zeißler

 

Foto: Eeva Maiju